top of page

Agilität in der praktischen Umsetzung

  • Autorenbild: Stephan Bellmann
    Stephan Bellmann
  • 17. Juli 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 5 Tagen

Felix Huschka: Agilität in der Praxis – Chancen, Herausforderungen und der Weg zur zukunftsfähigen Organisation



Über Felix Huschka

Felix Huschka verfügt über langjährige Erfahrung im agilen Coaching und internationalen Projektmanagement. Seit Oktober 2022 ist er als Agile Coach und Associate Manager bei Accenture tätig und begleitete zuvor als Senior Consultant bei umlaut company verschiedene nationale und internationale Projekte. Weitere Stationen seiner Laufbahn waren unter anderem AXA, wo er als Tribe Agile Master tätig war, sowie ALDI SÜD, wo er ein skalierbares agiles Operating Model einführte, agile Trainings für mehrere hundert Teilnehmer entwickelte und die Einführung von Frameworks wie SAFe, Spotify und LeSS unterstützte. Bei der Valiton GmbH leitete er zudem ein Team mit Fokus auf Agile Coaching, Testmanagement und die Ausbildung von Scrum Mastern. Insgesamt bringt Felix Huschka umfassende Expertise in der Gestaltung, Einführung und Weiterentwicklung agiler Arbeitsweisen über verschiedene Branchen und Organisationsgrößen hinweg mit.


Felix Huschka Agilität in der Praxis
Felix Huscka

Zusammenfassung des Interviews

„Leider wird oft übersehen, dass Kanban auch auf Prinzipien, Regeln, und vor allem dem Flow basiert.“

Felix Huschka betont, dass Kunden oft weniger an den Begriffen wie „Agilität“ interessiert sind, sondern vor allem daran, Projekte schneller als die Konkurrenz umzusetzen. Häufig werden nur einzelne Elemente des Agilen Manifests genutzt, sodass Berater die Aufgabe haben, die Vorteile eines agilen Vorgehens überzeugend darzustellen. Scrum ist besonders beliebt, was Huschka vor allem auf geschicktes Marketing zurückführt. Die Methode verspricht „doppelte Leistung in halber Zeit“ und eine gute Integration der Teams, erfordert aber tiefgreifende organisatorische Veränderungen, die oft vernachlässigt werden. Felix weist darauf hin, dass es kein Framework gibt, das Agilität perfekt widerspiegelt; Scrum kann jedoch angepasst werden, um zu den spezifischen Anforderungen eines Kunden zu passen.


In der Praxis wird Scrum jedoch häufig missverstanden: Product Owner übernehmen oft nur Backlog-Pflege, strategische Aufgaben bleiben aus, und Manager sind oft nicht bereit, Machtstrukturen zu verändern. Ebenso wird Kanban vielfach auf eine einfache Tafel mit Spalten reduziert, ohne dass die zugrunde liegenden Prinzipien und der Flow beachtet werden. Echte Kanban-Implementierungen finden nur bei einem kleinen Teil der Kunden statt, während viele Unternehmen die Methode lediglich oberflächlich nutzen. Kanban ist anfangs schwieriger einzuführen als Scrum, und oft werden eigene Rollen erfunden, um die Methode zu implementieren.


In der agilen Produktentwicklung sieht Felix die größte Herausforderung in der Verfügbarkeit physischer Teilprodukte, während die Zusammenarbeit im Team und die Digitalisierung positiv beeinflusst werden. Die Transformation zur Business Agility bewertet er als extrem anspruchsvoll, da jede einzelne Person überzeugt werden muss, und viele Abteilungen, wie etwa die Finanzabteilung, traditionelle Vorgehensweisen bevorzugen. Dennoch sieht er Business Agility als unvermeidlichen Schritt in einer zunehmend komplexen und dynamischen Welt (VUCA). Nach Business Agility folgt die tatsächliche Umsetzung von Agilität, die insbesondere den Austausch älterer Wissensträger erfordert, bevor Organisationen schließlich ein hohes Maß an echter Agilität erreichen können.


Felix macht deutlich, dass der Weg zur Agilität herausfordernd, aber notwendig ist, und dass erfolgreiche Unternehmen in Zukunft nur diejenigen sein werden, die sich dieser Entwicklung anpassen.


Felix Huschka Agilität in der Praxis

Kernaussagen des Intereviews

Kundenfokus

Kunden interessiert vor allem schnelle Projektergebnisse, nicht die Begriffe „Agilität“ oder „Scrum“. Agile Methoden werden oft nur teilweise genutzt.


Scrum und Kanban werden oft missverstanden

Scrum wird häufig oberflächlich umgesetzt, Product Owner übernehmen nur Backlog-Pflege, Kanban wird oft auf einfache Spalten reduziert statt auf Prinzipien und Flow geachtet.


Erfolgreiche Agilität erfordert Anpassung

Frameworks wie Scrum müssen an die spezifischen Anforderungen des Kunden und seiner Organisation angepasst werden; echte Agilität ist situationsabhängig.


Herausforderungen in der Umsetzung

Transformation zur Business Agility ist schwierig, da alle Beteiligten überzeugt und alte Machtstrukturen angepasst werden müssen.


Zukunft der Organisationen

Business Agility ist ein notwendiger Schritt in einer komplexen, sich schnell verändernden Welt; echte Agilität erfordert langfristige Veränderungen, einschließlich des Wissensaustauschs zwischen Generationen.


Interview


Welchen Stellenwert hat das agile Manifest heute noch?


Die Frage ist: Wie weit will der Kunde gehen und wie ernst ist es ihm damit? Dem Kunden ist es oft egal, ob man es Agilität nennt. Er ist daran interessiert, Projekte schneller als die Konkurrenz umsetzen zu können. Der Kunde nutzt oft nur Teile des Agilen Manifests. Als Berater muss ich mir die Frage stellen: Wie kann ich den Kunden davon überzeugen, dass ein agiles Vorgehen für die Projektarbeit sinnvoll ist? Agilität wird so zu einem semantischen Nebenprodukt für den Kunden.



Warum ist Scrum so enorm beliebt?


Es ist vor allem eine Frage des Marketings. Das machen sie wirklich gut. 

Ganz klassisch setzen sie hier auf "twice the work in half the time" und die gute Integration der Teams.

Allerdings muss sich die Organisation grundlegend ändern, wenn Scrum eingeführt wird. Das wird leider oft vergessen.



Ist Scrum das Tool, das die agilen Prinzipien am besten umsetzt?


Es gibt kein Framework, das Agilität am besten widerspiegelt. Dennoch ist Scrum in dieser Hinsicht bereits sehr gut. Die beste Agilität ist die, die zum jeweiligen Kunden und seinen Herausforderungen passt. Dazu gehört auch ein angepasstes Scrum-Framework.



Geht man nach Charlie Rudd, so ist Scrum heute bei der breiten Masse verstanden. Ist das in der Praxis wirklich der Fall?


Viele Menschen glauben, Scrum verstanden zu haben. In großen Unternehmen ist der Product Owner zum Beispiel hauptsächlich für die Backlog-Pflege zuständig und leistet nur wenig strategische Arbeit. Das heißt, kein Stakeholder-Management oder Anforderungsanalysen, wenig Flexibilität im Unternehmen, z.B. in Bezug auf Produktziele und Produktfunktionalitäten. Ticketpflege vs. Produktpflege. Oft wird der einfachste Kanban-Ansatz gewählt. 

In manchen Unternehmen managt ein Scrum Master vier Teams gleichzeitig. Oder es gibt überhaupt keinen Scrum Master.

Ein weiteres Problem in Unternehmen besteht darin, dass Manager in der Organisation oft nicht bereit sind, ihre Machtpositionen anzupassen. Der Product Owner wird oft zum Chef erklärt. Kurz um: es sieht durch die Namensgebung so aus als wäre Scrum verstanden, die Praxis zeigt leider das Gegenteil.



Wie sieht Kanban in der Praxis wirklich aus und werden die agilen Prinzipien wirklich umgesetzt?


Die meisten Kunden sehen Kanban als eine Tafel mit Spalten. ToDo's, In Review etc. Unterstützende Tools wie Jira ermöglichen nur die Einstellung von WIP-Elementen. Leider wird oft übersehen, dass Kanban auch auf Prinzipien, Regeln, und vor allem dem Flow basiert. Infolgedessen wird echtes Kanban gefühlt nur von 15 bis 20 % der Kunden umgesetzt, der Rest gibt sich mit 5 Spalten auf einem Jira Board zufrieden. 

Außerdem kommt es häufig vor, dass eine Kanban-Tafel zu unübersichtlich wird, weil 180 Tickets daran angeheftet sind. 



Inwieweit hat sich Kanban in den letzten Jahren in der Praxis entwickelt?


Die Grundstruktur von Kanban hat sich nicht geändert. Die Art und Weise, wie es eingesetzt wird, hat sich jedoch geändert. Einige Kunden verwenden Kanban eher als „Poster“ denn als eigentliches Werkzeug. Andere Kunden implementieren ihre eigenen Rollen in die Kanban-Methodik. So werden zum Beispiel Product Owner oder Scrum/Kanban Master für die Kanban-Methodik erfunden.

Kanban ist anfangs schwieriger zu implementieren als Scrum.



Was sind deine Erfahrungen im Bereich agiler Produktentwicklung?


Nach meiner Erfahrung besteht die größte Herausforderung in der Verfügbarkeit der physischen Teilprodukte.

Die positiven Auswirkungen ist jedoch die Stärkung der Zusammenarbeit im Team. Auch in der Entwicklung wird oft ein höherer Digitalisierungsgrad erreicht. 



Wie reibungslos funktioniert die Transformation zur Business Agility? 


Es ist eigentlich die Schwierigkeit einer Veränderung in einem Team mal 100. Man muss jeden Einzelnen davon überzeugen, dass dies eine gute Idee ist. Die Finanzabteilung will zum Beispiel einen Finanzplan für die nächsten 10 Jahre aufstellen. 

Außerdem haben die Leute oft keine Zeit für eine solche Umstellung. Aber ich denke, dass in 20 Jahren jede Organisation einen gewissen Grad der Business Agility erreicht haben muss, denn alles andere wird „sterben“. Die Antwort auf ein zunehmend komplexes und sich schnell veränderndes Umfeld 

(Stichwort VUCA) ist Agilität.



Was kommt nach Business Agility?


Der erste Schritt ist Business Agility. Obwohl dies von außen betrachtet oft sehr gut aussieht, stößt die tatsächliche Umsetzung auf große Probleme. Dennoch ist dies der erste wichtige Schritt in die Zukunft. Der zweite Schritt ist die Umsetzung der tatsächlichen Agilität. Wir müssen vor allem den Austausch der alten Wissensträger (Boomer) schaffen. Das wird noch sehr schwierig sein. Und dann, im dritten Schritt, werden wir alles richtig machen.



Felix, ich danke dir sehr für die Einsichten deiner Erfahrungen. Das hat viel Spaß gemacht!


Das habe ich sehr gerne gemacht.


Metadaten

Durchführung Interview: 11.03.2024

Interviewsprache: deutsch

Autorisierung: 17.07.2024 (Felix Huschka)




Kommentare


bottom of page