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SAFe: Skalierung mit Chancen und Risiken

  • Autorenbild: Stephan Bellmann
    Stephan Bellmann
  • 30. Aug.
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 9. Sept.

Mark-André Ehlers: Agilität entsteht nicht allein durch SAFe als Framework, sondern durch Menschen, die in dem Framework arbeiten und Hierarchien hinterfragen.



Über Mark


Mark-André hat Wirtschaftspsychologie studiert und sich früh auf digitale Transformation und agile Unternehmenskulturen spezialisiert. Erste Praxiserfahrungen sammelte er bei Diehl Aviation, wo er Kulturwandel und agile Methoden wie Kaizen und Kanban einführte. Als Consultant bei Xtentio und umlaut begleitete er Unternehmen in Change- und Organisationsentwicklungsprojekten, coachte Teams und Führungskräfte und entwickelte Instrumente zur Organisationsdiagnostik. Seit 2022 ist er bei Accenture als (Senior) Consultant und Team Lead tätig und unterstützt Unternehmen dabei, agile Frameworks wie SAFe erfolgreich umzusetzen und nachhaltige Transformationsprozesse zu gestalten.


Mark-André Ehlers über SAFe
Mark-André Ehlers

Zusammenfassung des Interviews


Mark-André hat Wirtschaftspsychologie studiert und sich früh mit den psychologischen Faktoren von Arbeit und Organisation beschäftigt. Über ein Studienprojekt mit der NGO Augenhöhe entdeckte er 2014 die agile Arbeitsweise, die ihn bis heute prägt. Für ihn bieten agile Organisationen einen menschenzentrierter Gegenentwurf zu einer Arbeitswelt, die oft nur auf Optimierung und Profit ausgerichtet ist.

Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist das Scaled Agile Framework (SAFe), das in den 2010er-Jahren entstand, um agile Prinzipien von kleinen Teams auf große Organisationen zu übertragen. SAFe ermöglicht es, die Arbeit vieler Teams zu koordinieren und dabei dennoch flexibel und anpassungsfähig zu bleiben. Voraussetzung für eine erfolgreiche Einführung ist jedoch, dass Teams bereits agil arbeiten können, ein gemeinsames Ziel verfolgen und die Mitarbeitenden die Prinzipien des Frameworks verstehen und mittragen.

Mark-André betont, dass SAFe in der Praxis häufig falsch umgesetzt wird. Viele Unternehmen nutzen es, um bestehende hierarchische Strukturen zu erhalten, anstatt echte Agilität zuzulassen. Dadurch entstehen Bürokratie und Schattenstrukturen. Ein großes Problem sieht er auch im Missverständnis von Rollen, etwa des Product Owners: Statt das Team dienend zu vertreten, verstehen sich viele in dieser Position noch als Vorgesetzte.

SAFe wird vor allem dort eingesetzt, wo komplexe Programme mit vielen Schnittstellen, insbesondere zwischen Hardware und Software, koordiniert werden müssen. Manche Firmen versuchen, es als Betriebssystem für die gesamte Organisation zu nutzen. Ob sich damit aber auch echte Business Agility erreichen lässt, hängt stark von der Bereitschaft ab, Hierarchien abzubauen und Teams wirklich selbstständig arbeiten zu lassen.

Für die Zukunft ist Mark-André überzeugt, dass Agilität insgesamt immer wichtiger wird, da Organisationen auf eine zunehmend komplexe und dynamische Welt reagieren müssen. Ob SAFe dabei das dominierende Framework bleibt, ist weniger entscheidend als die Fähigkeit, Anpassungsfähigkeit in die Organisation zu verankern. Andere Frameworks wie Scrum at Scale oder LeSS verfolgen ähnliche Ziele, unterscheiden sich aber in Details. Entscheidend ist für ihn nicht, ein Modell starr aus dem Lehrbuch zu übernehmen, sondern ein eigenes System zu entwickeln, das zur Organisation passt.



Kernaussagen


Agilität als Haltung

Sie ist ein menschenzentrierter Gegenentwurf zu rein auf Effizienz und Profit ausgerichteten Organisationsformen.


SAFe als Rahmenwerk

Entstand, um agile Prinzipien von kleinen Teams auf große Organisationen zu skalieren.


Voraussetzungen für SAFe

  • Teams müssen bereits agil arbeiten können.

  • Ein gemeinsames Ziel und ein klarer strategischer Überbau sind notwendig.

  • Mitarbeitende brauchen Verständnis und Commitment für das Framework.


Kritik an SAFe

  • Gefahr, dass es lediglich über bestehende hierarchische Strukturen „gestülpt“ wird.

  • Gefahr von Bürokratie statt echter Agilität.


Rollenverständnis

Viele Product Owner arbeiten noch hierarchiegetrieben und verstehen ihre Rolle nicht als dienend für das Team.


Einsatzgebiete

Besonders bei komplexen Programmen mit vielen Schnittstellen (z. B. Hardware/Software).


Business Agility

Mit SAFe möglich, hängt aber stark vom Abbau klassischer Hierarchien ab.


Zukunft

Agilität wird immer wichtiger, entscheidend ist aber weniger das konkrete Framework, sondern die Fähigkeit zur Anpassung.


Vergleich mit anderen Frameworks

LeSS, Scrum at Scale & Co. verfolgen ähnliche Ziele – wichtig ist, dass Organisationen ihr eigenes passendes System entwickeln.


Interview


Mark, du hast Wirtschaftspsychologie studiert und beschäftigst dich heute intensiv mit Agilität. Wie kommt man von dort zur Agilität?

Der Zusammenhang ist eigentlich naheliegend. Wirtschaftspsychologie beschäftigt sich mit psychologischen Faktoren rund um den Menschen – im Arbeits- wie auch im Wirtschaftsleben. Dazu gehören Themen wie Kommunikationspsychologie, Ethik, Compliance und die Auswirkungen von Organisationskultur.

Für mich persönlich begann das 2014, als ich im Rahmen eines Studienprojekts die NGO Augenhöhe kennengelernt habe. Diese Organisation untersuchte, wie Unternehmen menschennäher und langfristig dennoch erfolgreich arbeiten können. Wir führten Interviews mit Firmen, die bereits andere Wege gingen, und ich durfte erstmals erleben, was es bedeutet, „agil“ zu arbeiten. Manche Unternehmen hatten dafür eigene Organisationssysteme entwickelt – das hat mich begeistert.

Ich war schon immer überzeugt, dass unsere Arbeitswelt nicht so funktioniert, wie sie eigentlich könnte. Sie ist stark auf Profit- und Effizienzmaximierung ausgerichtet und verliert dabei oft die Menschen aus dem Blick – also genau die, die diese Leistung überhaupt erst erbringen. Agilität und Selbstorganisation geben hier eine andere Perspektive: Organisationen, die menschenzentriert arbeiten, können nachhaltig erfolgreicher sein und weniger in toxischen Kapitalismusstrukturen verharren. Das ist bis heute meine Motivation, diese Bewegung weiterzutragen.


Sehr spannend. Heute wollen wir aber vor allem über SAFe sprechen, da du in diesem Bereich viel Erfahrung hast. Kannst du kurz erklären, was SAFe eigentlich ist?

Agiles Arbeiten entstand ursprünglich auf Teamebene – in kleinen, flexiblen Software-Studios mit überschaubaren Projekten. Doch je größer Projekte und Organisationen wurden, desto stärker brauchte es Strukturen, die dennoch reaktionsfähig bleiben.

SAFe – Scaled Agile Framework – entstand in den 2010er-Jahren, um agile Prinzipien auf viele Teams und komplexe Programme zu übertragen. Es bietet ein Rahmenwerk, das Teamarbeit, Koordination und Programmmanagement verbindet. Im Grunde ist SAFe eine Antwort auf die Frage: Wie bleibt man agil, wenn nicht nur ein Team, sondern hunderte Menschen gemeinsam an komplexen Produkten arbeiten?


Wenn man SAFe einführen möchte: Welche Voraussetzungen müssen Mitarbeiter mitbringen?

Zunächst einmal braucht es agile Teams, die vernetzt sind und ein gemeinsames Ziel haben. Dafür ist ein klarer strategischer Überbau notwendig – allen Mitarbeitenden muss bewusst sein, wohin die Reise geht. Gleichzeitig erfordert SAFe ein Verständnis davon, dass nicht mehr klassische Hierarchien im Vordergrund stehen, sondern Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Wenn ein Unternehmen SAFe einführt, sollte es dafür auch die Basis schaffen: Schulungen und gemeinsames Commitment. Nur wenn alle den Prozessrahmen verstehen und akzeptieren, kann er später angepasst werden. Andernfalls entstehen Schattenorganisationen oder Workarounds, die das System instabil machen.


Ist SAFe aus deiner Sicht inzwischen ein vollständig verstandenes Framework?

Ich glaube nicht. Es wirkt fast so, als ob die Organisation hinter SAFe gar kein Interesse daran hat, dass es komplett durchdrungen wird – schließlich erzeugt das Beratungs- und Schulungsbedarf. Aber aus meiner Sicht reicht es auch, die Grundprinzipien zu verstehen: Menschen befähigen, so zu arbeiten, wie sie es am besten können. SAFe ist nur ein Rahmen, um das zu organisieren.


Es gibt auch viel Kritik an SAFe. Was sind die Hauptpunkte?

Der größte Kritikpunkt ist, dass SAFe es klassischen, hierarchisch geprägten Organisationen leicht macht, ihre Strukturen beizubehalten. Anstatt echte Agilität zu leben, „stülpen“ sie SAFe über ihre bestehenden Muster. Das führt zu Bürokratie, statt die eigentliche Idee – agile Teams im größeren Rahmen – wirklich atmen zu lassen.


Wie groß ist das Problem, dass Rollen – zum Beispiel die des Product Owners – falsch verstanden werden?

Sehr groß. Viele Product Owner sehen sich eher als Product Manager, also als Vorgesetzte, die Anweisungen geben. Dabei sollte die Rolle eher teamdienlich sein, wie ein Klassensprecher, der das Team nach außen vertritt. Mein Bauchgefühl sagt, dass etwa 80 % der Product Owner immer noch hierarchiegetrieben arbeiten – nur eine Minderheit versteht sich wirklich als dienende Rolle.


In welchen Bereichen wird SAFe typischerweise eingesetzt?

Vor allem in komplexen Programmen, oft an der Schnittstelle von Hardware und Software. Also dort, wo viele Teilprodukte in einer größeren Lösung integriert werden. Manche Unternehmen versuchen auch, SAFe als umfassendes Betriebssystem für die gesamte Organisation einzuführen.


Kann man mit SAFe auch Business Agility erreichen?

Ja, zumindest theoretisch. In der Praxis hängt es stark davon ab, ob die Organisation tatsächlich bereit ist, Hierarchien abzubauen und echte Entscheidungsfreiheit zuzulassen. Viele unterschätzen, dass man dafür nicht nur ein Framework „überstülpen“ kann – Teams müssen schon vorab agil arbeiten können. Andernfalls bleibt es bei oberflächlicher Veränderung.


Wird SAFe in Zukunft wichtiger – oder verliert es an Bedeutung?

Die Grundidee der Agilität wird wichtiger denn je, weil unsere Welt immer komplexer und dynamischer wird. Ob SAFe dabei langfristig das zentrale Framework bleibt, ist schwer zu sagen. Entscheidend ist weniger das Rahmenwerk selbst, sondern dass Organisationen Anpassungsfähigkeit lernen.


Was unterscheidet SAFe eigentlich von anderen Frameworks wie Scrum at Scale oder LeSS?

Alle Frameworks verfolgen dasselbe Ziel: Agilität in großen Organisationen. Unterschiede gibt es eher im Detail. In meiner Praxis habe ich fast ausschließlich mit SAFe gearbeitet – aber unabhängig vom Framework ist es entscheidend, dass Unternehmen nicht blind ein Modell aus dem Lehrbuch übernehmen. Jede Organisation muss ihr eigenes System entwickeln, das wirklich zu ihr passt. Frameworks können dafür Impulse geben, aber sie sind kein fertiges Patentrezept.


Mark, vielen Dank für das Gespräch!


Metadaten

Durchführung Interview: 23.04.2025 (remote)

Interviewsprache: deutsch

Interviewer: Stephan Bellmann

Interviewpartner: Mark-André Ehlers

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