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Smart Factory und Logistik: Chancen für die Industrie 4.0

  • Autorenbild: Stephan Bellmann
    Stephan Bellmann
  • 20. Aug.
  • 12 Min. Lesezeit

Einblicke in die Praxis der Industrie 4.0: Von Produktionslogistik über Digitalisierung bis zu den Herausforderungen standardisierter Maschinenkommunikation.



Über Marc Hagemann

Marc stammt ursprünglich aus Harburg, hat aber sein Abitur in Niedersachsen gemacht. Sein Wunsch war es zunächst, in der Automobilbranche Fuß zu fassen, idealerweise bei VW. Da dies 2016 schwierig war, landete er schließlich bei Schaeffler in Schweinfurt, wo er parallel zu seiner Arbeit im Bereich Industrial Engineering ein duales Maschinenbau-Studium mit Schwerpunkt Mechatronik absolvierte. Während dieser Zeit sammelte er internationale Erfahrung, unter anderem beim Anlauf einer Produktionsanlage in China. Nach seiner Rückkehr nach Hamburg wechselte er zu Vibracoustic, einem weiteren Automobilzulieferer, wo er im Application Management tätig war und sich intensiv mit Fahrwerkskomponenten beschäftigte. Parallel absolvierte er seinen Master in Produktionstechnik und Management.

2021 erfolgte dann der Schritt in die Digitalberatung bei umlaut, wo er sich stark mit Industrie 4.0, Sensorik und digitalen Nebensystemen beschäftigte, die Produktionsprozesse effizienter machen sollen. Beispiele dafür waren Projekte im Aluminiumdruckguss, in der Flugzeugproduktion oder bei Batterieherstellern, wo Track-and-Trace-Lösungen sowie Temperatur- und Verortungssensorik eingesetzt wurden, um Prozesse zu optimieren und Sicherheitsrisiken zu vermeiden.

Heute arbeitet Marc in der Fensterbranche als Zulieferer für das Baugewerbe.


Marc Hagemann über Smart Factory und Produktionslogistik
Marc Hagemann

Zusammenfassung des Interviews

Marc arbeitet heute in der Fensterbranche als Zulieferer für das Baugewerbe. Dort liegt der Fokus auf komplexer Logistik, Supply-Chain-Management und individueller Fertigung – bis hin zur Losgröße 1. Industrie 4.0 bleibt für ihn ein wichtiges Thema, etwa durch Scan-to-Locate-Systeme im Lager oder digitale Bestandsführung. Dennoch sieht er die Digitalisierung nicht als alleinige Lösung, sondern als Ergänzung zu guter Menschenführung und hochwertigen Produkten.

Ein großes Hindernis für die Umsetzung von Industrie 4.0 sind fehlende Standards. Zwar existieren etablierte Technologien wie WiFi, 5G, OPC UA oder MQTT, doch die Vielfalt von Maschinen, ihr Alter sowie uneinheitliche Benennungen von Datenpunkten erschweren die Vernetzung erheblich. Marc betont die Bedeutung von Initiativen wie dem Unified Namespace, die eine gemeinsame Sprache für Maschinendaten schaffen sollen. Gleichzeitig fordert er mehr Zusammenarbeit zwischen Integratoren, Maschinenherstellern und Softwareanbietern, um „Plug-and-Play“-Lösungen zu ermöglichen.

Er sieht darin nicht nur eine technische, sondern auch eine kulturelle Herausforderung: Während andere Länder wie China oder Polen pragmatischer und schneller seien, fehle es in Deutschland oft an Allianzen und gemeinsamer Mission. Gerade mit Blick auf kommende regulatorische Anforderungen, etwa das Lieferkettengesetz, seien unternehmensübergreifende Schnittstellen und Standards unverzichtbar.

Großes Potenzial erkennt Marc besonders in der Objekterkennung – etwa wenn Maschinen Materialien selbstständig unterscheiden und ihre Prozesse anpassen – sowie in der Produktionslogistik, speziell beim Materialfluss und Track-and-Trace innerhalb der Fabrik. Damit könnten Produktionsabläufe deutlich effizienter, flexibler und smarter werden.


Kernaussagen


Industrie 4.0 ist wichtig, aber nicht die alleinige Lösung

Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung können Prozesse effizienter machen, müssen aber mit guter Führung und hochwertigen Produkten kombiniert werden.


Fehlende Standards sind ein zentrales Problem 

Trotz Technologien wie OPC UA oder MQTT bleibt die Maschinenvielfalt, unterschiedliche Datenbenennungen und das Brownfield-Problem ein großes Hindernis.


Zusammenarbeit ist entscheidend

Integratoren, Maschinenhersteller und Softwareanbieter müssen Allianzen bilden, um echte Plug-and-Play-Lösungen zu ermöglichen.


Deutschland ist zu risikoavers und fragmentiert

Im Vergleich zu Ländern wie China oder Polen fehlt eine gemeinsame Mission, wodurch Fortschritt gehemmt wird.


Regulatorische Anforderungen verstärken den Handlungsdruck 

Das Lieferkettengesetz erfordert beispielsweise unternehmensübergreifende Schnittstellen und Standards.


Größtes Potenzial liegt in Produktionslogistik und Objekterkennung 

Smarte Maschinen, die Materialien selbstständig erkennen, sowie durchgängiges Track-and-Trace in Fabriken können enorme Effizienzgewinne bringen.


Interview


Marc, du hast einen Bachelor gemacht, und zwar dual als Maschinenbauer, aber nicht in Hamburg. Dabei bist du ja eigentlich Hamburger!?


Ja, korrekt. Also, ich bin nicht ganz Hamburger – ich komme aus Harburg. Zur Schule gegangen bin ich aber auf der niedersächsischen Seite, da ich nur etwa 50 Meter von der Grenze entfernt lebe. Mein Abitur habe ich also in Niedersachsen gemacht. Danach wollte ich unbedingt etwas mit Autos machen, am liebsten bei VW. 2016 war jedoch nicht die beste Zeit für den Einstieg bei VW. Über viele Zufälle und ein wenig Glück bin ich schließlich bei Schaeffler gelandet.

Schaeffler ist ein Automobilzulieferer, spezialisiert auf Wälzlagertechnik, mit Standort in Schweinfurt. Dort war ich fast vier Jahre und habe parallel meinen Bachelor in Maschinenbau mit Vertiefung Mechatronik absolviert. Während dieser Zeit habe ich viel im Bereich Industrial Engineering gearbeitet – sehr produktionsnah, direkt am Standort. Unter anderem war ich in China und habe dort beim vollständigen Anlauf einer Produktionsanlage mitgearbeitet.

Das war eine spannende Erfahrung. Danach bin ich zurück nach Hamburg gekommen. Da mir die Branche gefiel, habe ich mir dort den nächsten Automobilzulieferer gesucht: Vibracoustic. Dort habe ich alles betreut, was im Fahrwerk mit Gummi zu tun hat – Lagerbuchsen, Luftfedersysteme, Kopplungen zur Reduktion von Störgeräuschen aus Antriebsstrang und Fahrwerk. Gerade im Zuge der Elektromobilität wird Mobilität leiser, und dadurch nimmt die Empfindlichkeit für Geräusche zu.

Ich war dort im Application Management tätig – also an der Schnittstelle zwischen Kunde und Inhouse-Entwicklung, allerdings stark auf der Entwicklungsseite. Parallel habe ich meinen Master in Produktionstechnik und Management gemacht. Danach wollte ich stärker ins Digitale einsteigen und bin zu umlaut gewechselt – raus aus der Automobilbranche.



Das war 2021, richtig?


Ja, das dürfte 2021 gewesen sein. Ich bin in die Digitalberatung gewechselt – mit meinem Produktionshintergrund, aber deutlich digitaler ausgerichtet. Dort bin ich auch intensiv auf das Thema Industrie 4.0 gestoßen: viel Sensorik, und vor allem die Frage, wo der eigentliche Mehrwert liegt. Nämlich in digitalen Nebensystemen neben der klassischen Wertschöpfungskette, die Produktionsabläufe effizienter machen.



Hast du bezüglich der Nebensysteme ein konkretes Beispiel?


Ein klarer Schwerpunkt war die Auftrags- und Materialverfolgung. Also: Wo liegt was? Wie lassen sich Suchzeiten reduzieren und Materialflüsse verbessern?

Ein Beispiel war ein Aluminiumdruckguss-Unternehmen, ein anderes ein großer Flugzeughersteller. Das waren sehr großflächige Projekte – dort, wo viel Material, viel Equipment und viele Menschen koordiniert werden müssen. Sensorik war entscheidend: draußen über GPS, drinnen mit anderen Technologien. So konnte man Menschen im Moment besser steuern oder Prozesse rückblickend verbessern.



Stichwort Track and Trace.


Genau, Stichwort Track and Trace.



Geht es da auch um Lagerung, Sensorik – oder worum ging es konkret?


Ein Projekt betraf die Lagerung und Zustandsüberwachung bei einem Batteriehersteller. Batterien können sehr heiß werden und im Extremfall Feuer fangen. Wenn sie dicht gelagert sind, kann das einen Massenbrand auslösen. Deshalb spielten Temperatur- und Verortungssensorik eine große Rolle: Im Fall einer Überhitzung konnte eine einzelne Batterie schnell lokalisiert und entfernt werden, bevor es zu einer Kettenreaktion kommt.



Und du arbeitest jetzt wo?


Ich bin aktuell in der Fensterbranche tätig – Zulieferung für das Baugewerbe. Die Unternehmen, in denen ich arbeite, sind Assembly-Betriebe. Sie bringen das richtige Profil, die passenden Beschläge, Farben und Gläser zusammen – jedes Fenster ist ein Einzelstück. „Made to sample“, wie man sagt.



Also Losgröße 1!?


Genau, Losgröße 1 – manchmal auch ein wenig größer, zum Beispiel bei Hochhäusern, wo mehrere identische Elemente gebaut werden. Aber die meisten Aufträge sind kleiner als eine LKW-Ladung. Das bedeutet: sehr hoher Warenbestand, enorme Produktvielfalt, komplexe Lieferketten.

Unsere Preislisten umfassen hunderte Seiten. Allein der Betrieb, in dem ich gerade arbeite, hat eine Preisliste mit 155 Seiten. Die Kombinationsmöglichkeiten sind extrem vielfältig – das macht die Arbeit spannend.



Das heißt, es dreht sich bei dir viel um Logistik.


Richtig. Es geht sowohl um Supply Chain Management, interne Logistik als auch um Auslieferung. Unsere Kundschaft sind viele kleine Händler – von Flensburg bis in die Alpen, teilweise auch nach Frankreich. Losgrößen liegen oft bei acht bis zehn Fenstern.

Das reicht von der einzelnen Schraube im Betrieb bis zur großen Lieferung mit Routenplanung für die LKWs. Hinzu kommt die regulatorische Dimension, die Logistik zusätzlich herausfordernd macht.



Also eher Logistik als Industrie 4.0 – oder spielt das Thema für dich weiterhin eine Rolle?


Ich bin momentan für die gesamte Abwicklung in den Firmen verantwortlich. Industrie 4.0 ist aber weiterhin ein Thema – es beginnt ja schon bei Maschinendaten.

Aktuell setzen wir eine Scan-to-Locate-Lösung im Lager um, also die eindeutige Verbindung von Lagerplatz und Artikel. Damit können wir Bestände schneller finden. Dasselbe müssen wir bald auch im Großteillager einführen, da uns ansonsten abweichende Bestände regelmäßig Probleme bereiten.



Industrie 4.0 – ist das die Lösung? Rettet das die deutsche Industrie? Wie bewertest du das?


Teilweise. Industrie 4.0 ist nicht die alleinige Lösung, aber sie kann uns effizienter und ressourcenschonender machen. In Deutschland haben wir hohe Energiepreise, hohe Fachkosten und alte, historisch gewachsene Betriebe. Das zwingt uns, Prozesse über IT cleverer zu gestalten.

Wenn wir das nicht tun, haben wir gegenüber den großen internationalen Playern, die massiv investieren, schlechte Karten. Industrie 4.0 ist nicht der Schlüssel allein – es braucht weiterhin gute Menschenführung und hochwertige Produkte. Aber in der Fertigung sind Automatisierung, Digitalisierung, Prozessoptimierung und Vernetzung Schlüsselfaktoren.



Und ein Riesenproblem ist die Standardisierung!?


Genau. Standardisierung ist sowohl in der Entwicklung als auch in der Anwendung ein großes Problem. Wenn jeder sein eigenes System entwickelt, entstehen Barrieren. Daten bleiben an Schnittstellen hängen, weil sie unzureichend definiert sind – dadurch fehlen die Grundlagen für Prozessoptimierung.

Auf Anwenderseite ist die Investitionsmentalität in Deutschland oft risikoavers. Der Mittelstand setzt eher auf bewährte, etablierte Systeme. Neue Technologien ohne Standards setzen sich daher schwer durch.



Aber es gibt doch schon standardisierte Ansätze in der Produktion, gerade bei Industrie 4.0!?


Ja, es gibt Standards, die sich stark durchgesetzt haben. WiFi zum Beispiel – mittlerweile so leistungsfähig, dass Telefonie nahtlos möglich ist. Früher brauchte man dafür noch DECT-Systeme.

Auch 5G ist ein wichtiger Mobilfunkstandard. Für den Outdoor-Bereich gibt es LoRaWAN oder NB-IoT – Funkstandards, die mit minimalem Energieverbrauch Daten über lange Zeiträume übertragen.

Im Maschinenbereich sind OPC UA und MQTT inzwischen weit verbreitete Standards, die uns helfen, Systeme zu vernetzen.



Solche Standards sind ja auch im RAMI-4.0-Referenzarchitekturmodell eingeordnet. Ist das ein Ansatz zur Lösung?


Vielleicht. Standards entstehen in der Regel durch Allianzen unterschiedlicher Akteure, Hersteller und Anwender. Wenn ein einzelner großer Player sie treibt, kann das sogar kontraproduktiv sein. Entscheidend ist ein Zusammenschluss verschiedener Akteure – das macht einen Standard erfolgreich.



Arbeiten Unternehmen auch praktisch mit dem RAMI-4.0-Modell?


Eher auf der theoretischen Ebene. In der Praxis schauen Firmen meist auf die schnellsten Potenziale und nicht auf eine ganzheitliche Lösung. Return-on-Invest-Betrachtungen lassen Frameworks oft außen vor – da zählt die einzelne Technologie oder das konkrete Produkt. Wenn dieses adaptiv zum Framework ist, ist das ein Bonus, aber nicht ausschlaggebend.



Vielleicht noch etwas allgemeiner: Was sind eigentlich Standards und wofür sind sie gut?


Im Kern geht es bei Standards um eine Einigung innerhalb einer Gruppe – sei es ein Protokoll, ein Modell oder eine Vorgehensweise. Damit schaffen sie eine gemeinsame Basis für zukünftige Anwendungen.

Die konkrete Anwendung kann zwar variieren, aber Standards stellen sicher, dass Systeme kompatibel sind. Dadurch wird die Zusammenarbeit erleichtert und Weiterentwicklung ermöglicht.



Und wo gibt es konkret die größten Probleme mit Standards, wenn wir bei dem Thema Produktion und Industrie 4.0 bleiben?


Die größten Probleme sehe ich auf der Ebene der Maschinen. Also bei der Frage, wie die Maschinensteuerung mit den einzelnen Aktuatoren kommuniziert, die sie bedient.



Also du redest vom OT-Bereich?


Ja, aber auch davon, wie die Maschine mit der Außenwelt kommuniziert. In meinen Maschinenparks stehen Anlagen, die zwischen drei und fünfzehn Jahre alt sind. Das ist herausfordernd, weil sich die Entwicklungen so schnell weiterdrehen. Wir sehen derzeit, dass Maschinen – selbst wenn sie vom Hersteller standardisiert ausgeliefert werden – oft schwer erreichbar, schwer abrufbar und schwer zu verbinden sind.

Ein Grund ist die enorme Komplexität: unterschiedlichste Sensorik und Aktuatoren, dazu die uneinheitliche Benennung einzelner Datenpunkte. Hier liegt das größte Potenzial: Maschinen verschiedener Hersteller durchlässig zu verbinden und ihre Daten auf einer gemeinsamen Basis – etwa in einem Data Lake – zusammenzuführen.



Das heißt, die Diversität der Maschinen ist ein großes Problem, sowohl beim Alter als auch bei den verschiedenen Herstellern?


Genau. Das Alter ist ein wichtiger Faktor – das sogenannte Brownfield-Problem haben wir besonders in Europa. Wir haben viele historisch gewachsene Strukturen mit Maschinen, die längst abgeschrieben sind, aber immer noch zuverlässig laufen. Das ist einerseits gut, andererseits ein Hindernis für Fortschritt und Digitalisierung.

Die größte Herausforderung ist das Mapping. Ein Beispiel: Ein Hersteller von Schweißanlagen hat drei zentrale Werte – Vorschub, Stromstärke und Spannung. Diese müssten einheitlich benannt werden, damit sie jeder versteht. Aber selbst mit Standards wie MQTT oder OPC UA ist das schwierig, sofern Maschinen überhaupt schon damit ausgestattet sind. Ich kann nicht einfach eine Schweißmaschine von Hersteller A an eine Maschine von Hersteller B anschließen – es braucht immer ein Mapping. Selbst wenn die Verbindung standardisiert ist, ist die Benennung der Datenpunkte das große Problem.



OPC UA ist ja auch nicht gleich OPC UA. Wenn zwei Maschinen über OPC UA-Schnittstellen verbunden sind, heißt das ja nicht automatisch, dass sie miteinander kommunizieren können.


Richtig! In Europa haben wir immerhin erreicht, dass die meisten neuen Maschinen mit OPC UA oder MQTT ausgeliefert werden. Aber das ist nur die Eintrittskarte. Es ist wie beim Mobilfunk: Nur weil ich mein Handy mit dem Netz verbinden kann, heißt das nicht, dass ich problemlos nach China telefonieren kann – ich spreche ja nicht automatisch Chinesisch.

So ist es auch bei Maschinen: Sie sind verbunden, sie können Informationen austauschen, aber sie können die Daten des anderen nicht unbedingt interpretieren.



Unified Namespace – schonmal gehört?


Ja, eine sehr gute Initiative, die beim Thema Mapping ansetzt. Momentan kann jeder Hersteller in seiner Software-Architektur Variablen so benennen, wie er möchte. Ich habe schon alles gesehen: Geburtstage, Entwicklernamen, sogar Begriffe, die besser nicht genannt werden sollten – und all das als Bezeichnungen für Input- oder Output-Variablen.

Mit einem Unified Namespace würden wir schneller vom bloßen „Connected“ zum echten Austausch gelangen.



Ich habe letztens Daniel Goldeband interviewt. Er hat mit iFlow ein Unternehmen aufgebaut, das genau dieses Unified Namespace anbietet – und ist damit inzwischen global unterwegs.


Das klingt vielversprechend. Was wir jetzt dringend brauchen, ist eine gemeinsame Mission. Denn Maschinen, die bereits im Feld stehen, werden Unternehmen nicht großartig umrüsten – Investitionen werden hier meist gescheut. Deshalb muss man eng mit Integratoren zusammenarbeiten.

Mein Wunsch wäre, dass Integratoren wie dein Bekannter aktiv auf Maschinenhersteller, Softwareanbieter und IoT-Plattformen zugehen und sich mit ihnen gemeinsam durchsetzen. Denn wenn jeder Integrator sein eigenes Süppchen kocht, bringt das uns nicht weiter. Wir müssen in dieselbe Richtung laufen. Investitionen müssen sich künftig „Plug and Play“ anfühlen – sonst bleiben wir stehen.



Da scheint etwas Wahres dran zu sein. Aber wie sollen wir vorgehen? Im Moment tun sich Integratoren ja nicht wirklich zusammen.


Stimmt. Im Moment sind wir in Deutschland noch zu sehr im eigenen Ökosystem verhaftet. Ich sehe das gerade in der Fensterbauertechnik: Jeder fokussiert sich auf seine Nische, ohne nach links und rechts zu schauen.

Ein Beispiel: Selbstfahrende Stapler (AGVs). Der Maschinenhersteller bildet sein Kerngeschäft – etwa Schweißen – perfekt ab, kümmert sich aber nicht darum, wie die Maschine mit anderen Systemen zusammenspielt. Dafür braucht es Integratoren. Nur arbeiten die in Deutschland viel zu wenig direkt mit den Herstellern zusammen. Zudem gibt es auf dem Markt kaum Integratoren, die sich wirklich an Maschinensoftware herantrauen.



Kannst du in dem Zusammenhang nochmal erklären, was Integratoren genau sind?


Gerne. Es gibt zwei Wege:

  1. Ich kaufe eine Maschine direkt vom Hersteller, der sie aufstellt, in Betrieb nimmt und schlüsselfertig übergibt.

  2. Oder: Ich habe mehrere Maschinen unterschiedlicher Hersteller, die ich zusammenführen will. Dafür brauche ich einen Integrator.

Firmen wie Accenture – mein früherer Arbeitgeber – bieten das an. Aber viele scheuen das Risiko. Denn Integratoren müssen die unterschiedlichen „Sprachen“ der Maschinen zusammenführen und am Ende auch die Gewährleistung übernehmen.

Das wird zunehmend problematischer, etwa bei Roboterarmen. Sie lassen sich nicht mehr ohne den Hersteller in Betrieb nehmen, weil die Einbindung in die Produktion zu komplex geworden ist.



Brauchen wir da ein bisschen mehr „American Spirit“?


Die Amerikaner sind in dem Bereich gar nicht unbedingt führend. China ist deutlich besser, und auch Polen macht das sehr gut – nicht zuletzt wegen EU-Förderungen.

Deutschland und die USA gehen traditionell voran, weil wir große Player haben. Aber wir denken in Europa oft zu klein und zu sehr im Wettbewerb. Gerade jetzt, wo die Zeiten härter sind, schaut jeder nur auf sich. Wir müssten stattdessen Allianzen bilden – auch wenn das 80 % Kompromiss bedeutet, ist das immer noch besser als nichts.

Dazu bräuchte es Projektmanager, die solche Allianzen begleiten. Denn im Tagesgeschäft bleibt für Zukunftsthemen oft keine Zeit. Ein unabhängiger Projektmanager, der den Prozess treibt, ist Gold wert – vorausgesetzt, die Allianz hat die richtigen engagierten Leute an Bord.



Externe Berater spielen also eine große Rolle?


Ja, aber sie müssen natürlich bezahlt werden. Wenn sich Unternehmen zusammenschließen, setzen sie meist eigene Leute ein. Sinnvoll wäre es jedoch, von staatlicher Seite viel stärker auf solche Initiativen zu schauen – und gegebenenfalls Unterstützung zu leisten.

Ich bin kein Freund von zu viel Staat in der Wirtschaft. Aber wenn die Bundesregierung erkennt, dass bestimmte Projekte großes Potenzial haben, könnte sie Ressourcen bereitstellen – etwa über Unternehmensberatungen oder Integratoren, die neutral und fachlich kompetent arbeiten.



Produktionsnetzwerke – oder wie du sagst: Allianzen – sind also notwendig, um das Potenzial der Digitalisierung auszuschöpfen?


Absolut. Besonders im Hinblick auf kommende Anforderungen wie das Lieferkettengesetz ab 2025. Spätestens dann brauchen wir unternehmensübergreifende Datenschnittstellen, Allianzen und Zusammenarbeit.

In meinem Bereich – Fensterbau – habe ich über 15.000 Teile im Supply-Chain-Management-System. Das kann man nicht alles manuell tracken. Standards wie E-Rechnung oder OpenTRANS für Rechnungen und Packlisten sind erste Schritte, aber noch nicht die Vollendung. Wir müssen all diese Initiativen zusammenführen und auf einen gemeinsamen Standard bringen.



Genau das ist ja auch Industrie 4.0. Sonst bräuchte man ja nur die Automatisierungspyramide innerhalb eines Unternehmens. Aber die Vision ist ja gerade die Verbindung zwischen Unternehmen und Maschinen – Stichwort Verwaltungsschalen.


Richtig. In vielen Organisationen wird das bereits umgesetzt, besonders in der Automobilindustrie mit ihren vernetzten Produktionsstraßen. Aber man muss unterscheiden zwischen echter Smart Factory und bloßer Automatisierung.



Stimme ich zu. Roboter agieren meist automatisiert, aber nicht wirklich smart.


Das stimmt. Aber es gibt bereits smarte Elemente – etwa wenn eine Frontscheibe individuell passend zu einem Auftrag eingesetzt wird. Trotzdem liegt hier noch riesiges Potenzial.



Wo siehst du aktuell das größte Potenzial?


In der Objekterkennung, also in der Reaktivität von Maschinen. Wenn eine Maschine nicht mehr blind festschraubt, sondern erkennt, ob sie es mit Aluminium oder Stahl zu tun hat, und das Drehmoment entsprechend anpasst – dann reden wir über echte Smart Factories.

Das zweite große Thema sehe ich in der Fördertechnik, also im Materialfluss zwischen den wertschöpfenden Arbeitsschritten. Bei Maschinen wie Fräsen, Kanten oder Umformtechnik sind wir in Deutschland bereits Weltspitze. Aber bei der Produktionslogistik – Transport, Handling, Track & Trace – steckt noch viel Potenzial. Besonders in Kombination mit Objekterkennung.



Also Stichwort Produktionslogistik, Track and Trace innerhalb der Fabrik?


Genau. Das funktioniert nur, wenn man jederzeit weiß: Was ist wo?



Sehr gut. Wir sind von der Standardisierung ein Stück weit abgewichen, aber das war spannend. Vielen Dank für das Gespräch, Marc.


Sehr gerne!

Metadaten


Durchführung Interview: 13.12.2024 (remote)

Interviewsprache: deutsch

Interviewer: Stephan Bellmann

Interviewpartner: Marc Hagemann

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