UX im Projektmanagement
- Stephan Bellmann
- 29. Juni
- 14 Min. Lesezeit
Katrin Klink: Erfolgreiche Produkte entstehen durch echte Nutzerorientierung – UX macht den Unterschied, auch im Projektmanagement.
Inhalt
Über Katrin Klink
Katrin Klink ist eine erfahrene UX-Strategin mit über 30 Jahren Berufserfahrung. Derzeit arbeitet sie bei Accenture als User Experience Arch Associate Manager und Senior Business Analyst mit Fokus auf agile Methoden, Softwarelösungen und digitale Projektsteuerung. Zuvor war sie viele Jahre freiberuflich tätig, unter anderem als Brand Experience Designer bei Xara Business Solutions und als UX-/Produktdesignerin bei Nilas MV GmbH im medizinischen Bereich. Ihre Schwerpunkte liegen auf nutzerzentriertem Design, Prozessoptimierung, strategischem Denken und Kommunikation über alle Touchpoints hinweg.

Zusammenfassung des Interviews
Im Interview mit Katrin Klink wird User Experience (UX) als ganzheitliches Nutzererlebnis mit einem Produkt oder Service beschrieben. Dabei geht es nicht nur um visuelles Design – wie bei User Interface (UI) – sondern um die gesamte Erfahrung von der ersten Berührung bis zur möglichen Empfehlung. Eine gute UX schafft Orientierung, Vertrauen und Zufriedenheit. Besonders deutlich wird das am Beispiel von Online-Shops, bei denen 60 % der Käufe trotz gefülltem Warenkorb abgebrochen werden – hier kann gezieltes UX-Design gegensteuern.
Gutes UX basiert auf fundierter Nutzerforschung, psychologischem Verständnis und einem emotionalen Zugang. Die „Time to Value“ – also die Zeit bis ein Nutzer den Nutzen erkennt – spielt eine entscheidende Rolle für Zufriedenheit und langfristige Bindung. Seit den Anfängen des Internets hat sich UX stark gewandelt: Weg von einem technikzentrierten Ansatz hin zu einem konsequent nutzerzentrierten Denken, bei dem bereits die ersten Sekunden über Erfolg oder Absprung entscheiden können.
Beispiele für gelungene UX sind etwa Amazon mit seinem Empfehlungssystem und einfacher Navigation, Apple mit seiner durchgängigen Markenerfahrung oder Apps wie Headspace und Duolingo, die durch Gamification und klare Nutzerführung punkten. Aber auch negative Erlebnisse zählen zur UX – etwa bei unverständlichen Prozessen, Hotline-Frust oder unzuverlässigen Paketdiensten – und können zu nachhaltigem Vertrauensverlust führen.
Katrin Klink betont, dass UX in Europa zwar weniger offensiv als in den USA eingeführt wurde, mittlerweile aber ein stiller Standard ist. Sie sieht UX als strategisches Denken, das Unternehmen zwingt, die Perspektive der Nutzer einzunehmen. Nutzerfeedback, Bewertungen und reale Erfahrungen sind dabei oft aussagekräftiger als klassische Unternehmenskommunikation.
UX geht außerdem weit über Design hinaus: Im Projektmanagement betrifft es nahezu alle Projektbeteiligten – von Entwicklern über Investoren bis hin zu internen Stakeholdern – und kann im Projektverlauf eine vermittelnde Rolle einnehmen. Daraus ergab sich aus dem Interview ein neuer Ansatz: die „Projekt Experience“, bei der die Zusammenarbeit, Kommunikation und Schnittstellen im Projekt optimiert werden. Katrin schlägt hierfür sogar die neue Rolle eines „Projekt Experience Designers“ vor, der UX, Business Analyse und Projektmanagement verbindet.
UX wird zudem als Prozessdesign verstanden – es geht um die Optimierung von Abläufen, Zuständigkeiten und Feedbackwegen. UX-Designer mit einem Verständnis für Prozesse und Business sind hier besonders wertvoll. Fehler entstehen laut Katrin oft dann, wenn UX-Denken fehlt – etwa bei der Einführung neuer Tools ohne Einbindung der Nutzer, was Widerstand und hohe Kosten zur Folge haben kann.
Abschließend plädiert Katrin für ein „Red Flag“-System, mit dem kleine Irritationen im Projektverlauf frühzeitig erkannt und adressiert werden können. Insgesamt wird UX als strategischer Hebel für Change Management, Organisationsentwicklung und Projektsteuerung verstanden. Unternehmen, die UX ernsthaft und ganzheitlich integrieren, profitieren durch weniger Reibungsverluste und mehr Innovationskraft.
Kernaussagen
1. UX ist ein ganzheitliches Nutzererlebnis
UX umfasst die gesamte Erfahrung mit einem Produkt oder Service – nicht nur das Design (UI), sondern auch Vertrauen, Zufriedenheit und Orientierung. Eine gutes UX begleitet den Nutzer vom ersten Kontakt bis zur Entscheidung oder Weiterempfehlung.
2. Gutes UX basiert auf Psychologie, Forschung und Emotion
UX-Design erfordert ein tiefes Verständnis für Nutzerbedürfnisse, Kontexte und Verhaltensweisen. Ein emotionaler Zugang zu Sprache, Vertrauen und Funktionalität ist entscheidend. Zentrale Kennzahl: „Time to Value“ – je schneller ein Nutzer den Mehrwert erkennt, desto erfolgreicher die UX.
3. UX hat sich von technik- zu nutzerzentriert entwickelt
Früher war UX stark technisch geprägt (z. B. Usability, SEO). Heute entscheidet das Nutzererlebnis in den ersten Sekunden über den Erfolg. Nutzerzentrierung ist der neue Standard.
4. Positive Beispiele zeigen den UX-Wert
Amazon, Apple, Headspace und Duolingo stehen für gute UX: Sie bieten intuitive Führung, personalisierte Inhalte und konsistente Erlebnisse.
5. Negative UX wirkt ebenso – aber schädlich
Schlechte UX (z. B. Hotline-Frust, unklare Prozesse) führt zu Unzufriedenheit, Abwanderung und Reputationsverlust. Auch negative Erlebnisse prägen den Gesamteindruck eines Unternehmens.
6. UX ist ein strategisches Denkmodell
UX zwingt Unternehmen zur Perspektivübernahme: Was brauchen Nutzer wirklich? Nutzerfeedback wird wichtiger als klassische Kommunikation. UX wird zum strategischen Hebel für Unternehmenserfolg.
7. UX und Projektmanagement gehören zusammen
UX betrifft nicht nur das Endprodukt, sondern auch Projektmanagement. Es kann als Brücke und Vermittler zwischen Stakeholdern, Entwicklern und Nutzern dienen.
8. „Projekt Experience“ als neues UX-Feld
Katrin schlägt ein eigenes „Projekt Experience Team“ vor, das die Erfahrungen der Projektbeteiligten optimiert – mit Fokus auf Kommunikation, Zusammenarbeit und reibungslose Schnittstellen.
9. UX ist auch Prozessdesign
UX im Projekt bedeutet, Abläufe, Zuständigkeiten und Feedbacksysteme nutzerzentriert zu gestalten. UX-Designer mit Prozess- und Businessverständnis sind besonders gefragt.
10. Fehlende UX führt zu Fehlern
Ein Mangel an UX-Denken – z. B. bei Tool-Einführungen ohne Nutzerbeteiligung – verursacht Ablehnung, Frust und Kosten. Viele Fehlentscheidungen im Projektverlauf ließen sich durch frühzeitige UX-Einbindung vermeiden.
11. Neue Rollen und Systeme für bessere UX
Katrin fordert neue Rollen wie den „Projekt Experience Designer“ und Systeme wie ein „Red Flag“-Monitoring, um Irritationen früh zu erkennen und gegenzusteuern.
12. UX als Hebel für Veränderung und Innovation
UX sollte als strategische Disziplin in Change Management, Organisationsentwicklung und Projektsteuerung integriert werden. Unternehmen, die UX ganzheitlich einbinden, fördern Effizienz und Innovation.
Interview
Stephan
In welchem Jahr bist du da gerade?
Katrin Klink
2018, 2017... Da war so der große Hype und da sind die Gehälter in die Höhe geschossen. Vor allem in San Francisco natürlich. Dort konntest du mal kurz, keine Ahnung, eine Viertelmillion verdienen als User Experience Designer und sie haben jeden Tag einen roten Teppich für dich ausgebreitet. Diese Welle ist nicht so rübergeschwappt nach Deutschland bzw. Europa, wie man hätte erwarten können. Bei uns gibt es jetzt eigentlich nur die Light-Version.
Was ich erfreulich finde ist aber, dass es sich immer weiter durchsetzt und sich quasi in den Alltag überall einschleicht. Ich denke, es ist mittlerweile eher so eine Art unterschwelliger Standard geworden. Wird aber leider bei uns quasi so vorausgesetzt, dass du das einfach kannst. Aber das ist natürlich immer so, wenn neue Sachen kommen. Dann gibt es Leute, die sich das selber beibringen. So war es auch, als man Webseiten angefangen hat und da gab es noch keine Ausbildung. Und so war es auch bei mir. Ich habe mein Studium gemacht, ohne einen Computer gesehen zu haben. Das ist schon eine Weile her, aber das ist alles möglich. Das heißt, es gibt erst die Freaks oder Nerds, die sowas machen und dann wird es irgendwann Mainstream. Und dann wird es typisch kapitalistisch: Du hast eine hohe Nachfrage, dann steigt der Preis, dann fangen Leute an aufzuspringen, sich auszubilden, Angebote in die Welt zu setzen und wenn es viele Angebote gibt, verfällt der Preis und es pendelt sich so irgendwo ein.
Aber du hattest gefragt, wie ich zu UX gekommen bin oder was ich mit UX mache. Also für mich war es die logische Fortführung, dass ich von Grafikdesign erstmal zu Branding gegangen bin, weil ich festgestellt habe, dass viele Leute eine nette Website wollen. Irgendwann kam es zu dem Punkt, wo mehr auf der Webseite draufstehen musste als nur “Willkommen auf meiner Homepage”. Da habe ich verstanden, dass im Grunde die meisten Kunden, das war eine erstaunliche Erfahrung, ihr Produkt eigentlich garnicht kennen.
Und da sind wir auch schon wieder bei User Experience. Was macht ein Produkt kundenfreundlich, wie man heute sagt. Aber es ist schwer, wenn man etwas macht, ein bisschen Abstand dazu zu bekommen, um wirklich zu sehen: was macht das Produkt anders, was macht es besonders, was kann ich vielleicht noch ergänzen?
So kam einfach dieses Thema Branding immer mehr auf.
Ich habe eine Zeit lang Vorträge gehalten, wo die Leute wirklich teilweise nachher zu mir kamen und sagen: Ich bin völlig schockiert, das war mir überhaupt nicht klar, ich habe noch nie darüber nachgedacht, dass ich da irgendwas ändern muss. Also einfaches Beispiel: früher haben die großen Firmen ganz viel Geld ausgegeben für Image-Kampagnen. Coca Cola zum Beispiel. Das heißt, die Firmen haben das Image gemacht. Zu diesem Zeitpunkt, als ich die Vorträge gehalten habe, habe ich erklärt, das Image wird heute aber von den Kunden gemacht. Das sind die positiven Bewertungen, das sind die 5-Sterne-Rezensionen. Die Leute gehen auf Amazon und lesen die Reviews und entscheiden dann über ihren Kauf. Viel wichtiger als was eine Firma über sich selbst sagt, ist das, was andere Kunden sagen. Das war ein ganz wichtiger Punkt für mich. Also nicht: Das muss ich machen, um meinen Kunden ein gutes Ergebnis zu liefern und Erfolge zu ermöglichen. Endlich sind es nicht mehr die Firmen, die sagen, hey, wir sind cool, sondern die Kunden schauen genau hin und bewerten. Und du löst als Firma vielleicht einen Shitstorm aus, weil du einen falschen Schritt gemacht hast – auch das ist User Experience Design. Und dein Börsenwert als Firma fällt halt mal kurz an einem Vormittag um ein paar Millionen oder Milliarden. Dann kannst du sagen: blöder Mist. Was ist da gelaufen? Oder du kannst sagen, okay, offensichtlich gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was wir denken, wer wir sind als Marke und dem, wie der Kunde uns empfindet. Schlaue Firmen machen dann ganz schnell Schadensbegrenzung auf gute Weise –oder du kannst den Shitstorm natürlich noch vervielfachen, indem du dann blöd reagierst.
Stephan
Sehr interessant. Offensichtlich komme ich jetzt zu der folgenden Frage: Was hat UX-Design mit Projektmanagement zu tun? Wo sind da die Zusammenhänge? Diese mögen für den einen oder anderen sehr offensichtlich sein, aber vielleicht kannst du an dieser Stelle auflösen.
Katrin Klink
Ja, du zielst darauf ab, dass ich eben gerade mehr im Bereich Projektmanagement unterwegs bin. Eigentlich bin ich ja gerade Business Analyst, aber im Grunde leite ich das alles aus UX ab, wenn du so willst. Also Projektmanagement ist meine Qualifikation, und das ist wie bei der User Experience, dass ich für die Kunden mitgedacht habe. Also ich war zum Beispiel ein paar Jahre lang Head of Research and Development in einem Projekt, wo wir eine medizinische Frequenztechnologie aus der Ukraine nach Europa gebracht haben.
Ich war eigentlich für Research zuständig, ein ganz bisschen für Marketing, nachher auch für den ganzen Bereich Ausbildung. Aber ich habe eben verstanden, dass die ganze Sache nur funktioniert, wenn alle zufrieden sind und die Sache auf allen Seiten gut läuft. Das ist wieder diese nahtlose Nutzererfahrung, wenn du so willst, die man immer beschreibt.
Also da waren die Entwickler, die wollten Besuche bekommen, Besuche machen und viel Wodka trinken. Das ist nicht rassistisch, sondern das war wirklich eine der Anforderungen sozusagen. Dann gab es die Investoren, die zufriedengestellt werden wollten. Dann gab es die Anwender, die die Software getestet haben und damit User Experience hatten. Dann gab es die Patienten oder Klienten der Anwender, die auch eine positive Nutzererfahrung haben mussten. Und so habe ich einfach gemerkt, Software allein funktioniert nicht. Wo müssen wir nachbessern? Und das hat mich dann zu diesem Thema gebracht. Was sind die einzelnen Rollen oder beteiligten Stakeholder, würde man vielleicht sagen. Und was brauchen die? Was sind die Notwendigkeiten, die sie haben? Was sind die Ergebnisse, die sie haben wollen? Was sind die Tools zum Beispiel, die sie brauchen? Und nur wenn das alles funktioniert, sind alle glücklich und das Projekt läuft nahtlos. Und dann kommst du sehr schnell in den Bereich Zeitmanagement.
Dann hast du natürlich irgendwelche Budgets und Ressourcen. Das ist genau das, was dann irgendwann in klassisches Projektmanagement übergeht.
Stephan
Das ist ja ganz interessant und das habe ich bis jetzt noch garnicht so betrachtet. Wenn man sich ein Projekt anschaut, dann könnte auf der Metaebene ja eine sehr essenzielle Komponente die User Experience sein, sodass über die User, in dem Fall dann die Projektbeteiligten, ein erfolgreicher Projektablauf sichergestellt werden kann.
Katrin Klink
Ja, mein voriges Projekt war bei einem sehr großen, ich glaube dem größten europäischen Energiedienstleister. Es war ein Netzwerk aus verschiedenen Netzbetreibern. Im Grund haben wir die Grundlagen gelegt für erneuerbare Energie.
Und ich war für das End-to-End zuständig. Also irgendjemand auf der Chefetage hat eine Entscheidung getroffen und das wurde dann runtergebrochen in Maßnahmen. Entsprechend wurden Apps entwickelt und dann gab es internationale Stakeholder, die vielleicht gesagt haben, Moment, bei uns funktioniert das nicht. Das sind alles Geschichten, die du mit im Auge behalten musst. Und dann natürlich Zeitablauf und alles. Das Ganze hatte auch eine wahnsinnig hohe politische Komponente, weil alle zufrieden sein mussten. So funktioniert es halt in großen Unternehmen, du musst positive Nachrichten nach oben berichten. Die ganzen Reports mussten verschiedene Leute gut dastehen lassen. Also noch eine zusätzliche Komponente. Und wenn das eben nicht funktioniert, fängt der Ärger an. Also nicht nur das Projekt muss gut laufen und das Budget muss eingehalten werden, sondern das sind wieder die Erwartungen, die User Experience der einzelnen Stakeholder. Das musste miteinander abgeglichen werden und ja, da kann es ganz schnell ganz böse knirschen und jede Menge Streit und Ärger geben, in kleinen Projekten wie in großen Projekten.
UX ist überall drin und es ist extrem wichtig, da hin zu schauen.
Stephan
Ich denke beispielsweise daran, man bekommt ein Formular, das ausgefüllt werden muss. Meistens ist das ein pdf-Dokument, das schon überhaupt nicht nach Spaß aussieht und worauf man überhaupt keine Lust hat. Dann fülle ich das eben aus und schicke es ab, weg mit diesem Problem. Aber da wäre doch eine positive Begleitung des Users, also des Projektbeteiligten, eine gute Idee, sodass es ihm vielleicht sogar Spaß macht, genau dieses Formular auszufüllen.
Katrin Klink
Das ist dann wieder die Frage, wie du die Marke siehst. Wenn du sagst, wieder will der irgendwas von mir, sowas Blödes, wie kommt er dazu, dass ich da jetzt fünf Minuten Zeit investieren soll? Oder du weißt noch nicht mal, wie lange es dauert. Ganz schlechte User Experience. Großer Unterschied, wenn du sagst, ihr würdet uns wirklich helfen, es sind nur fünf Fragen, aber wir können dann ein besseres Produkt machen. Oder sie sagen, aufgrund eines Beschlusses unseres Vorstands müssen wir einen Fragenkatalog mit 25 Fragen zu je fünf verschiedenen Themen ausfüllen usw. Das sind unterschiedliche User Experience. Das ist zum Einen die Ansprache, das ist zum Anderen die Gestaltung des Erlebnisses, während du das machst. Wie führst du die Leute durch?
Woran wir uns beispielsweise schon gewöhnt haben, das heißt Wizard, dass ich oben sehen kann, wie viele Punkte ich noch vor mir habe, wie viele Fragen oder Schritte muss ich noch machen. Zum Beispiel beim Bestellprozess. Ich habe jetzt schon diese drei Schritte gemacht. Jetzt fehlt mir nur noch die Eingabe der Kundendaten und dann kann ich es abschicken. Das hilft dir als User, sich zu orientieren und eben nicht früher auszusteigen. Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt ja immer weiter. Wir haben ja angeblich nur die eines Goldfisches, das stimmt wissenschaftlich erwiesenermaßen nicht. Aber die Aufmerksamkeitsspanne sinkt natürlich, bzw. es gibt auch die Konkurrenz mit ablenkenden Faktoren. All das trägt eben dazu bei: Kriegst du das gewünschte Ergebnis oder nicht? Und wie du sagst, viele Dinge gehen da schief.
Stephan
Wenn du jetzt ein klassisches Projekt aufsetzen würdest, wo würdest du UX ansetzen? Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Komponenten?
Katrin Klink
Bei mir persönlich ist UX ein Teil von allem, was ich mache. Ich sehe zu, dass es meinem Team gut geht oder habe einen persönlichen Kontakt zu den Leuten oder Stakeholdern. Ich schaue, kriegen die das, was sie brauchen? Können sie ihre Reports machen und sieht es gut aus? Sind alle informiert? Sind alle auf dem gleichen Level? Haben alle die gleiche Vorstellung davon, was man erreichen will? Die Superpower ist im Grunde Kommunikation. Also als Projektmanager den Überblick behalten, wo steht jeder, wo wollen wir hin, wo gibt es Dinge, die sich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt entwickeln und entsprechende Entscheidungen benötigen?
Ich entwickle gerade eine App im Finanzbereich mit einem Team und da haben wir zwei verschiedene Sachen entwickelt und ich bin jetzt am überlegen, macht es Sinn die wieder zusammenzuführen? Was bedeutet das für die Entwickler? Was bedeutet das für den Kunden? Was bedeutet das für uns in der Umsetzung? Wo sind mögliche Fallen? Denke ich alles schon voraus? Und kommuniziere ich das frühzeitig? Könnte eine Entscheidung kommen? Lasst uns das im Auge behalten. Oder wenn jemand kommt und sagt, da könnte man noch mal eine Seite einbauen, was nicht mehr möglich ist, denn wir haben eine Deadline. Dann musst du halt wissen, was meint er damit, was hat das für Konsequenzen, mit wem müsste man das abstimmen oder findet man noch eine kreative Lösung, um das noch in das laufende Projekt einzubauen?
Und im agilen Bereich bist du natürlich darauf angewiesen, dass du mit Leuten zusammen arbeitest, die schnell umsetzen können und die selbst ihre eigenen Zeitpläne einhalten können und dass das miteinander abgestimmt ist.
Wenn ein Projekt beispielsweise schon mal an die Wand gefahren worden ist und man es wieder aufnehmen muss. Da läufst du quasi auf rohen Eiern herum. Und das ist wirklich das, was ich denke, was man im Projektmanagement mit im Auge behalten muss, was eine hohe Sozialkompetenz erwartet und im Grunde User Experience Design ist, wenn du so willst.
Stephan
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man in einem Projekt auch das UX verstärkt mit reinbringt.
Wenn man beispielsweise ein großes Projekt mit 200 Leuten hat. Dann gibt es da ein Team von zwei, drei Leuten, also ein UX-Team, die sich nur um den reibungslosen Ablauf aller Projektbeteiligten bezogen auf die Experience kümmern. Ist das ein sinnvoller Gedanke?
Katrin Klink
Also weder Brand Experience oder User Experience, sondern Projekt Experience!?
Stephan
Ja, genau, als Projekt Experience benannt.
Katrin Klink
Neuer Ansatz, der gefällt mir sehr gut. Wobei du natürlich Leute brauchst, die ins Projekt involviert sind. Ich war eben sehr gut in dem, was ich im letzten Projekt gemacht habe, weil ich in diesem gesamten End-to-End-Prozess war. Und ich habe dann angefangen, Schnittstellen zu den anderen Teams aufzubauen, um diese Silos zum Beispiel aufzubrechen. Wir sind jetzt schon wieder in einem Thema, was vielleicht interessant sein könnte. Aber genau das ist der Punkt. Ich konnte genau sagen, da knirscht es, da fehlt was, da fehlt ein Tool, da fehlt eine Abfrage, da fehlt Feedback. Also zum Beispiel, wir haben in zwei Teams zweimal die gleichen Daten vom gleichen Kunden erhoben, weil wir nicht miteinander kommuniziert haben. Und das hat nach hinten heraus dann Ärger gegeben. Das zu verstehen setzt eben voraus, dass du tief in das Projekt involviert bist und nicht „nur“ eine zusätzliche Rolle hast, die die Experience quasi von außen gestalten soll.
Stephan
Ja, Projekt-Experiences, das gefällt mir sehr gut!
Katrin Klink
Lass uns das zu einem Ding machen und lass uns daraus einen Job für viele UX-Designer machen, die noch gar nicht verstanden haben, was sie alles machen können.
Stephan
Ja, einfach nur die Idee. Also ein kleines Team, das immer wieder auf die internen Projektbeteiligten schaut. Stakeholder Experience sozusagen. Das ist ja ganz wichtig in einem Projekt, dass genau das funktioniert, weil so ein Projekt eben aus Menschen besteht und diese Menschen dieses Projekt nach vorne treiben. Und sehr oft scheitert es genau an diesem Punkt!
Katrin Klink
Wir können das vielleicht ein bisschen anders framen und über Prozessdesign sprechen. Das ist nämlich das, wo es für mich im letzten Projekt ging. Also im Idealfall gäbe es so eine Abteilung, wie du sie gerade beschreibst.
Aber die müssen ja die Informationen bekommen, worum es geht. Dadurch müsste jeder aus den anderen Teams, aus den Scrum Teams, den Kunden, den Stakeholdern, was auch immer, eine kleine rote Red Flag bzw. so ein Warnlämpchen setzen, sobald jemand merkt, hier hat etwas nicht funktioniert oder hier fehlt ein Teil oder hier tue ich mich immer schwer – und das an dieses Projekt UX Team melden. Oft findet sich dann eine Anschlussstelle, weil es vielleicht beim anderen Team auch nicht funktioniert.
Und die Lösung war eben für mich, dass ich sozusagen in Prozess UX Design gegangen bin und gesagt habe: An dieser Stelle müssen wir drei Teams miteinander verzahnen, an einer anderen Stelle können das zwei Teams miteinander lösen, spucken dann aber ein Ergebnis aus und das müssen wir dann an andere Teams kommunizieren und als Konsequenz muss dieser Teil noch mal geändert werden. Das ist im Grunde Prozessdesign und das wird völlig unterschätzt bei Unternehmen. Man kann die Effektivität erhöhen, indem man Prozesse besser gestaltet. Wir machen das auch in meinem laufenden Projekt, federführend übrigens nicht ich, sondern zwei UX-Designerinnen, die richtig gut sind, aber die eben genau diese Hintergründe verstehen. Und deswegen sind UX-Designer, die die Prozesse und auch das Business verstehen, für mich fast unbezahlbare Mitarbeiter, die wirklich die Prozesslandschaft verändern und dort ganz viel bewegen können.
In meinem vorherigen Projekt war ich in einem riesigen Unternehmen und auf oberster Stufe sollten Prozesse verändert werden, aber ohne irgendjemanden zu fragen.
Zum Beispiel wollten die Jira abschaffen oder Jira ersetzen durch ein anderes Tool. Da hast du natürlich jeden gegen dich, der im Bereich Development arbeitet.
Also ich bin da nicht mehr, aber mein letzter Stand war, dass die das Projekt jetzt kippen und das hat so unglaublich viele Arbeitsstunden gekostet und damit Geld. Das ist für mich ein Anfängerfehler. Das wäre zum Beispiel etwas, das ich aus so einem Projekt UX Design Team heraus sagen würde: Moment, habt ihr euch die Konsequenzen überlegt? Lasst uns doch mal mit ein paar Leuten reden. Was könnte das für mögliche Konsequenzen haben?
Wenn du Veränderungen durchsetzt, brauchst du Leute, die das unterstützen und nicht Leute, die dagegen schießen. Dieser Faktor wird noch gar nicht eingesetzt bei Unternehmen.
Stephan
Super! Es war sehr, sehr interessant. Ich hätte noch zwei Stunden weiterreden können, was das Thema UX-Design angeht!
Katrin, vielen Dank dir. Und dann wünsche ich dir noch einen schönen Tag.
Katrin Klink
Vielen Dank!
Metadaten
Durchführung Interview: 08.01.2025 (remote)
Interviewsprache: deutsch
Interviewer: Stephan Bellmann
Interviewpartner: Katrin Klink




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