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Analyse: Edgar H. Schein – Organizational Culture and Leadership

  • Autorenbild: Stephan Bellmann
    Stephan Bellmann
  • vor 2 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

Analyse Edgar Scheins Organisationskultur-Forschung: Wie unsichtbare Überzeugungen Führung, Verhalten und Wandel prägen.


Überblick


„Organizational Culture and Leadership“ fasst die jahrzehntelange Forschungsarbeit von Edgar H. Schein zur Organisationskultur zusammen. Das Werk basiert nicht auf einer einzelnen Untersuchung, sondern auf zahlreichen Fallstudien, Beratungsprojekten und Beobachtungen, die Schein vor allem am Massachusetts Institute of Technology (MIT) durchgeführt hat. Es beschreibt Organisationskultur als etwas Tiefgreifendes und Wirkungsvolles: Kultur prägt Entscheidungswege, beeinflusst Zusammenarbeit und gestaltet das Selbstverständnis einer Gruppe. Das Buch zeigt außerdem, warum kulturelle Veränderung oft anspruchsvoll ist und weshalb stabile Grundannahmen nur langsam zu verändern sind. Dabei richtet sich Schein besonders an Führungskräfte und Organisationen, die verstehen wollen, wie Kultur entsteht und wie sie im Rahmen von Veränderungsprozessen berücksichtigt werden sollte.



Von wann sind Buch und Forschungsarbeiten?


Scheins Forschung zur Organisationskultur begann in den frühen 1980er Jahren und führte 1985 zur Veröffentlichung der ersten Ausgabe des Buches „Organizational Culture and Leadership“. Seitdem wurde es mehrfach ergänzt und überarbeitet: Neue Erkenntnisse und erweiterte Perspektiven flossen in spätere Auflagen ein, zuletzt gemeinsam mit Peter Schein (5. Auflage, 2017). Diese lange Zeitspanne zeigt, dass Scheins Verständnis von Kultur stetig anwuchs und sich an aktuelle Entwicklungen und Forschungsergebnisse anpasste.



Wer hat das Buch veröffentlicht – und welche Institution steckt dahinter?


Veröffentlicht wurde das Buch vom renommierten Jossey-Bass Verlag (Wiley). Edgar Schein selbst lehrte und forschte über Jahrzehnte am MIT Sloan School of Management. Dort entwickelte er theoretische Grundlagen und sammelte praktische Erfahrungen mit Unternehmen, Teams und Führungskräften. Diese institutionelle Einbettung ermöglichte es ihm, wissenschaftliche Erkenntnisse mit realen Unternehmenssituationen zu verknüpfen.



Wer ist Edgar Schein – und wer ist Peter Schein?


Edgar H. Schein (1928–2023) war Sozial- und Organisationspsychologe und zählt zu den wichtigsten Vertreterinnen und Vertretern moderner Organisationsforschung. Er prägte das Verständnis von Unternehmenskultur weltweit. Sein Sohn Peter Schein ist Unternehmensberater und Organisationsforscher und arbeitete gemeinsam mit seinem Vater an der letzten Buchausgabe. Beide sind mit dem Edgar Schein Institute verbunden, das Forschungsergebnisse zugänglich macht und Beratungstätigkeiten anbietet.


Organisationskultur


Was wurde untersucht? – Inhalt und Datengrundlage


Schein betrachtete Unternehmenskulturen über lange Zeiträume hinweg und analysierte:

  • wie Organisationen Werte entwickeln,

  • wie sich gemeinsame Überzeugungen formen,

  • wie Kultur Entscheidungsverhalten beeinflusst,

  • und wie Organisationen Veränderungen verarbeiten.

Ein zentrales Fallbeispiel ist die Firma Digital Equipment Corporation (DEC), die Schein über mehrere Jahre begleitete. Die Datengrundlage umfasst Interviews, Gespräche, Dokumente, Beobachtungen realer Arbeitssituationen und die aktive Teilnahme an Unternehmensprozessen. Statt standardisierter Messmethoden nutzte Schein persönliche Nähe und langfristige Einblicke.



Welche Methoden wurden angewendet – und wie sind sie zu bewerten?


Schein arbeitete vor allem qualitativ. Zu den Methoden zählen:

  • langfristige Fallstudien,

  • qualitative Interviews,

  • Gruppengespräche,

  • Beobachtung im Arbeitsumfeld,

  • und begleitende Beratung.

Diese Vorgehensweise liefert tiefe Einsichten in Organisationsmechanismen. Sie erlaubt ein besseres Verständnis von Situationen, Verhalten und Menschen. Die Methode ist jedoch weniger geeignet, um allgemeingültige statistische Aussagen zu treffen. Ihre Stärke liegt im Erkennen von Mustern, nicht im quantitativen Vergleich.



Zentrales Ergebnis


Das zentrale Ergebnis lautet: Organisationskultur ist ein unsichtbares, aber starkes Fundament, das das Denken und Handeln in Organisationen prägt. Kultur entsteht aus gemeinsamen Erfahrungen und prägt Entscheidungsstrukturen sowie das Verhalten von Führungskräften und Mitarbeitenden. Gleichzeitig begrenzt sie, welche Veränderungen möglich sind.

Ergebnis im Detail – Die drei Ebenen der Kultur

Originalzitat von Edgar H. Schein: „Culture is the deeper level of basic assumptions and beliefs that are shared by members of an organization, that operate unconsciously and define in a basic ‘taken for granted’ fashion an organization’s view of itself and its environment.“ – Edgar H. Schein, 1985

Erläuterung: Dieses Zitat verdeutlicht Scheins zentrale Aussage, dass Organisationskultur nicht nur aus sichtbaren Elementen besteht, sondern auf tiefen, oft unbewussten Überzeugungen aufbaut – den sogenannten Grundannahmen. Sie prägen, wie ein Unternehmen sich selbst sieht, wie es Entscheidungen trifft und wie es auf seine Umwelt reagiert. Dadurch wird verständlich, warum Kultur weit mehr ist als ein Leitbild oder ein Regelwerk: Sie beeinflusst die innere Funktionslogik der Organisation.


Schein beschreibt Kultur auf drei Ebenen:

  1. Artefakte: sichtbar, z. B. Sprache, Kleidung, Rituale, Verhaltensweisen im Büro, digitale Tools oder räumliche Gestaltung. Diese Ebene zeigt, wie ein Unternehmen nach außen wirkt und welche Gewohnheiten im Alltag sichtbar werden.

  2. Werte: offiziell formulierte Grundhaltungen, Leitbilder und Strategien. Dazu gehören Vorstellungen über Zusammenarbeit, Qualität, Führung oder Kommunikation. Werte dienen als Orientierung und geben vor, wie sich Mitarbeitende verhalten sollen – auch wenn diese Aussagen nicht immer der tatsächlichen Realität entsprechen.

  3. Grundannahmen: tief verwurzelte Überzeugungen, die selten hinterfragt werden und auf gemeinsamen Erfahrungen beruhen. Dazu zählen grundlegende Sichtweisen über Vertrauen, Verantwortung, Konflikte oder die Rolle von Führung. Diese Ebene steuert Verhalten oft unbewusst.

Edgar Schein
Originalauszug aus Organizational Culture and Leadership (4th Edition) - Edgar H. Schein

Organisationen funktionieren vor allem aufgrund dieser Grundannahmen. Sie bestimmen, wie Menschen miteinander umgehen, wie Vertrauen entsteht und wie Entscheidungen getroffen werden. Grundannahmen beeinflussen auch, wie Fehler wahrgenommen werden, ob Wissen offen geteilt wird und wie Teams mit Unsicherheit umgehen. Das Verständnis dieser Ebenen hilft zu erklären, warum Veränderungsprozesse langsam verlaufen. Eine Veränderung auf sichtbarer Ebene – etwa neue Regeln oder Strukturen – führt nicht automatisch zu verändertem Verhalten, solange die tieferen Überzeugungen bestehen bleiben. Dadurch wird Kulturwandel zu einem langfristigen Lernprozess.


“Changing culture ultimately means changing behavior, and behavior will not change unless the underlying assumptions change.”— Edgar H. Schein, Organizational Culture and Leadership, 2010



Wie bekannt ist das Werk?


Scheins Konzept gilt weltweit als Standardmodell zur Analyse und Gestaltung von Unternehmenskultur. Es wird in der Forschung, in der Hochschullehre und in der Unternehmensberatung verwendet. Viele heutige Kulturmodelle basieren direkt oder indirekt auf Scheins Theorie. Das Buch zählt zu den meistzitierten Werken im Bereich Organisationskultur.



Welche Kritik gibt es?


Kritikpunkte betreffen:

  • den qualitativen Ansatz, der nur begrenzt übertragbar ist; diese Kritik wird unter anderem von Vertreter:innen quantitativ geprägter Forschung eingebracht, zum Beispiel aus der Organisationssoziologie an Universitäten wie Stanford oder Michigan, die stärker auf Messbarkeit und Vergleichbarkeit setzen,

  • die starke Ausrichtung auf einzelne Fallbeispiele; hier äußerten vor allem empirische Managementforschende aus Institutionen wie der Harvard Business School Zweifel an der Übertragbarkeit auf andere Unternehmen,

  • und die Schwierigkeit, kulturelle Muster messbar zu machen; diese Kritik kommt unter anderem aus internationalen Forschungsgruppen, die Kulturmodelle statistisch bewerten möchten, darunter Projekte der Universität Amsterdam im Umfeld kulturvergleichender Studien.


Zudem wird angemerkt, dass Kultur im Modell relativ stabil erscheint, während sie in der Praxis oft dynamischer ist. Diese Einwände stammen häufig aus der neueren Change‑Management‑Forschung, zum Beispiel von Forscher:innen aus Beratungsinstituten wie McKinsey Global Research oder Universität St. Gallen, die Kultur als beweglicher und schneller wandelbar beschreiben.

Trotzdem bietet das Buch ein tiefes Verständnis für kulturelle Zusammenhänge und dient als Grundlage vieler aktueller Ansätze.


Organisationskultur


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