Das Agile Manifest
- Stephan Bellmann
- 17. Juli 2024
- 7 Min. Lesezeit
Das Agile Manifest wurde im Jahr 2001 veröffentlicht und prägt bis heute maßgeblich die agile Arbeitsweise – sowohl in Projekten als auch darüber hinaus. Es bildet häufig die Grundlage, um das Verständnis von Agilität zu vermitteln.
Oft heißt es: „Scrum als Framework ist nicht per se agil – erst die zugrunde liegenden Prinzipien, die sich am Agilen Manifest orientieren, machen die Methode wirklich agil.“ Eine Aussage, die unter Agilisten weit verbreitet ist.
Doch was genau ist das Agile Manifest? Wie ist es entstanden, und warum hat es eine so nachhaltige Wirkung entfaltet?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich der folgende kompakte Artikel.
Der Weg zum Agilen Manifest
Im Jahr 2001 wurde das Agile Manifest veröffentlicht – ein Meilenstein, der die Art und Weise, wie Software entwickelt wird, nachhaltig verändert hat. Doch bereits in den Jahren zuvor gab es zahlreiche Bestrebungen, die Effizienz und Flexibilität in der Softwareentwicklung zu verbessern.
Ein Beispiel dafür ist Rapid Application Development (RAD), das 1991 von Barry Boehm eingeführt wurde. Dieses Modell stellt eine iterative Vorgehensweise in den Mittelpunkt. Ein zentrales Element von RAD ist das Prototyping: Ein erster Entwurf der Software – oder einer geplanten Änderung – wird erstellt, vorgestellt, angepasst und anschließend erneut entwickelt. Dieser Zyklus wiederholt sich so lange, bis ein zufriedenstellendes Ergebnis vorliegt, das schließlich getestet und implementiert wird.
Solche frühen Ansätze ebneten den Weg für die späteren agilen Methoden und zeigen, wie sich die Softwareentwicklung Schritt für Schritt in Richtung höherer Anpassungsfähigkeit und Kundenorientierung bewegt hat.

1994 wurde die Dynamic Systems Development Method (DSDM) vom gleichnamigen Konsortium ins Leben gerufen. Ziel dieser Methode war es, agile Prinzipien mit einem strukturierten Rahmen für das Projektmanagement zu verbinden und dadurch komplexe Entwicklungsprojekte besser steuerbar zu machen.
Der DSDM-Prozess gliedert sich in mehrere Phasen:
Pre-Project: Entscheidung, ob ein Projekt initiiert werden soll.
Feasibility: Prüfung der Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit.
Foundation: Sicherstellung eines gemeinsamen Verständnisses über Ziele, Inhalte und Rahmenbedingungen des Projekts.
Exploration: Detaillierung der Anforderungen und erste Lösungsansätze.
Engineering: Technische Umsetzung und Entwicklung der Lösung.
Deployment: Bereitstellung der finalen Lösung.
Ein zentrales Merkmal von DSDM ist seine iterative Vorgehensweise. Die einzelnen Phasen können mehrfach durchlaufen werden, wobei auch Rücksprünge zwischen den Projektabschnitten möglich sind – je nachdem, was die Projektsituation erfordert. Damit bietet DSDM eine hohe Flexibilität bei gleichzeitigem Fokus auf Kontrolle und Transparenz.

Im Hinblick auf das spätere Agile Manifest ist DSDM besonders bemerkenswert: Bereits Jahre zuvor wurden hier konkrete Prinzipien formuliert, die sich gezielt auf die Zusammenarbeit, das Verhalten und die Verantwortung der Projektbeteiligten beziehen – also auf die tägliche Arbeitsweise innerhalb von Teams.
Die zentralen Leitprinzipien von DSDM lauten:
Fokussierung auf die Bedürfnisse der Nutzer
Pünktliche Lieferung
Engagierte Zusammenarbeit aller Beteiligten
Keine Kompromisse bei der Qualität
Schrittweise Entwicklung auf einer stabilen Grundlage
Iterative und inkrementelle Vorgehensweise
Regelmäßige und transparente Kommunikation
Klare Steuerung und Kontrolle des Projekts
Diese Prinzipien verdeutlichen, wie DSDM bereits früh die agile Denkweise vorwegnahm und zugleich versuchte, diese in eine strukturierte, projektorientierte Methodik zu überführen. Damit leistete DSDM einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung agiler Frameworks und Denkmodelle.
Das Scrum-Framework wurde 1995 von Ken Schwaber und Jeff Sutherland veröffentlicht. Beide hatten zuvor eigene Ansätze zur Softwareentwicklung erarbeitet, die sie schließlich zusammenführten – daraus entstand das heute weit verbreitete Scrum-Modell.
Scrum ist eine Methode zur iterativen und inkrementellen Umsetzung agiler Projekte. Auch wenn an dieser Stelle nicht näher auf die konkreten Inhalte und Rollen innerhalb von Scrum eingegangen wird, ist hervorzuheben, dass das Framework eng mit den Prinzipien des Agilen Manifests verknüpft ist.
Diese Nähe kommt nicht von ungefähr: Ken Schwaber und Jeff Sutherland waren maßgeblich an der Entstehung des Agilen Manifests im Jahr 2001 beteiligt. Viele der heute zentralen agilen Werte – wie iterative Entwicklung, enge Zusammenarbeit im Team und kontinuierliche Verbesserung – finden sich bereits in den Grundgedanken von Scrum wieder.

Neben Scrum entstanden in den späten 1990er-Jahren weitere Methoden, die auf agiles Arbeiten ausgerichtet waren:
Extreme Programming (XP) wurde 1996 eingeführt, Feature Driven Development (FDD) folgte 1997, und der Unified Process (UP) wurde 1998 entwickelt. All diese Ansätze verfolgten das Ziel, die starre und oft schwerfällige traditionelle Softwareentwicklung durch flexiblere, benutzerzentrierte und inkrementelle Methoden zu ersetzen.
Ein gemeinsamer Nenner dieser Methoden ist die Reaktion auf die Herausforderungen und Begrenzungen klassischer Vorgehensmodelle. Gerade die hohe Dynamik in Softwareprojekten, etwa durch sich schnell ändernde Anforderungen oder technologische Entwicklungen, machte deutlich, dass agilere Vorgehensweisen notwendig waren.
Im Vergleich dazu verlaufen Projekte in der physischen Produktentwicklung oder im Bauwesen häufig strukturierter und planungsintensiver. Dennoch lassen sich auch hier zunehmend agile Prinzipien und Praktiken beobachten, etwa in Form hybrider Ansätze oder gezielter agiler Projektphasen – ein Hinweis darauf, dass Agilität branchenübergreifend an Bedeutung gewinnt.
Das Agile Manifest
Im Jahr 2001 trafen sich 17 führende Experten der Softwareentwicklung, um gemeinsam das Agile Manifest zu formulieren – ein Dokument, das bis heute als Grundlage des agilen Projektmanagements gilt. Veröffentlicht wurde es unter dem Titel „Manifesto for Agile Software Development“.
Zu den Mitverfassern zählten Persönlichkeiten, die zuvor bereits bedeutende agile Methoden entwickelt hatten:
Ken Schwaber und Jeff Sutherland waren maßgeblich an der Entwicklung von Scrum beteiligt, während Kent Beck als einer der Hauptinitiatoren von Extreme Programming (XP) gilt. Auch Alistair Cockburn, ein weiterer Unterzeichner, prägte die agile Bewegung entscheidend mit.
Die Kernaussage des Manifests lässt sich in vier zentralen Werten und zwölf Prinzipien zusammenfassen. Diese bilden das Fundament für eine agile Denkweise und prägen seither die Umsetzung agiler Projekte in unterschiedlichsten Branchen.
Die Autorin Lena Pritzl beschreibt das Manifest im Project Magazine treffend als:
„Das Agile Manifest ist die Grundlage für agiles Projektmanagement und wurde 2001 unter dem Namen Manifesto for Agile Software Development von Kent Beck, Ken Schwaber, Jeff Sutherland, Alistair Cockburn und 13 weiteren Autoren veröffentlicht.“

Die vier Werte
Individuen und Interaktionen über Prozesse und Werkzeuge
Funktionierende Software über umfassende Dokumentation
Zusammenarbeit mit dem Kunden über Vertragsverhandlungen
Eingehen auf Veränderung über Befolgen eines Plans
Ein wesentlicher Aspekt des Agilen Manifests ist das Verständnis der vier Wertepaare, bei denen jeweils die linke Seite bevorzugt wird – ohne jedoch die rechte Seite als unwichtig oder überflüssig zu deklarieren. Dieser Punkt wird direkt unter dem Wertevergleich im Manifest ausdrücklich betont:
„Das heißt, obwohl die Werte auf der rechten Seite wertvoll sind, schätzen wir die Werte auf der linken Seite mehr.“
Die zwölf Prinzipien
Die zwölf Prinzipien des Agilen Manifests stellen den Kunden mit frühzeitiger und kontinuierlicher Lieferung wertvoller Software in den Mittelpunkt und begrüßen auch späte Anforderungsänderungen, um Wettbewerbsvorteile zu sichern. Regelmäßige Lieferungen in kurzen Abständen, enge tägliche Zusammenarbeit von Fachleuten und Entwicklern sowie das Vertrauen in motivierte, selbstorganisierte Teams sind zentrale Elemente. Die direkte Kommunikation von Angesicht zu Angesicht wird als effektivste Informationsquelle angesehen, während funktionierende Software der wichtigste Fortschrittsmaßstab bleibt. Agilität erfordert nachhaltige Entwicklung mit konstantem Tempo, technische Exzellenz und gutes Design. Einfachheit wird als Kunst gesehen, unnötige Arbeit zu vermeiden, und Teams reflektieren regelmäßig, wie sie ihre Arbeitsweise verbessern können.
Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Lieferung von wertvoller Software zufrieden zu stellen.
Anforderungsänderungen sind auch spät in der Entwicklung willkommen. Agile Prozesse machen Veränderungen für den Wettbewerbsvorteil des Kunden nutzbar.
Liefern Sie regelmäßig, alle paar Wochen bis alle paar Monate, funktionierende Software, wobei ein kürzerer Zeitrahmen bevorzugt wird.
Geschäftsleute (Fachleute) und Entwickler müssen während des gesamten Projekts täglich zusammenarbeiten.
Bauen Sie Projekte um motivierte Einzelpersonen herum auf. Geben Sie ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie brauchen, und vertrauen Sie darauf, dass sie die Arbeit erledigen werden.
Die effizienteste und effektivste Methode der Vermittlung von Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams ist ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht.
Funktionierende Software ist der primäre Maßstab für den Fortschritt.
Agile Prozesse fördern die nachhaltige Entwicklung. Die Sponsoren, Entwickler und Benutzer sollten in der Lage sein, auf unbestimmte Zeit ein konstantes Tempo beizubehalten.
Kontinuierliche Aufmerksamkeit für technische Exzellenz und gutes Design erhöht die Agilität.
Einfachheit - die Kunst, die Menge nicht-getaner Arbeit zu maximieren - ist essenziell.
Die besten Architekturen, Anforderungen und Designs gehen aus sich selbst organisierenden Teams hervor.
In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team darüber, wie es effektiver werden kann und passt sein Verhalten entsprechend an.
Nach vielen Jahren der Anwendung zeigt sich in der Praxis, dass die Umsetzung des Agilen Manifests oft von der ursprünglichen Idee abweicht. Für viele Unternehmen ist Agilität vor allem ein wohlklingender Begriff, der genutzt wird, um sich in der dynamischen und unsicheren VUCA-Welt gegenüber der Konkurrenz zu positionieren. Diese Erfahrung bestätigt auch Felix Huschka in seiner Rolle als Berater: „Dem Kunden ist es oft egal, ob man es Agilität nennt. Ihn interessiert, dass er Projekte schneller umsetzen kann als die Konkurrenz (...) Agilität wird damit für den Kunden zu einem semantischen Nebenprodukt.“
Quellen
Das ist die offizielle Seite des Agilen Manifestes. Die Werte und Prinzipien wurden in vielen Sprachen übersetzt.
Wikipedia: Dynamic systems development method (Link)
Für die erweiterte Recherche einzelner Themenbereiche (hier zur DSDM) habe ich u.a. Wikipedia genutzt.
Barry Boehm “A Spiral Model of Software Development” (Link)
Für die Erstellung dieses Artikels habe ich mir auch andere Artikel angeguckt, die einen entsprechenden Einfluss auf den Text haben.
Joachim Pfeffer: Scrum (Link)
Für die Erstellung dieses Artikels habe ich mir auch andere Artikel (hier im Projektmagazin) angeguckt, die einen entsprechenden Einfluss auf den Text haben.
Lena Pritzl: Agiles Manifest (Agile Manifesto) (Link)
Für die Erstellung dieses Artikels habe ich mir auch andere Artikel (hier im Projektmagazin) angeguckt, die einen entsprechenden Einfluss auf den Text haben.
Felix Huschka: Agilität in der Praxis (Link)
Im März 2024 habe ich Felix zum Thema "Agilität in der Praxis" interviewt.
Bildmaterial und Lizenzierung
Titelbild: Darstellung des Agilen Manifests
Eigene Kreation (Autor). Das Bild unterliegt CC BY-SA 4.0
Bild 1: Übersicht Rapid Application Development
Eigene Kreation (Autor). Das Bild unterliegt CC BY-SA 4.0
Bild 2: Übersicht Dynamic Systems Development Method
Eigene Kreation (Autor). Das Bild unterliegt CC BY-SA 4.0
Bild 3: Übersicht Scrum Methode
Eigene Kreation (Autor). Das Bild unterliegt CC BY-SA 4.0
Bild 4: Darstellung des Agilen Manifests
Eigene Kreation (Autor). Das Bild unterliegt CC BY-SA 4.0




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